Frühe Leidenschaft
Am 11. Dezember 1920 in eine Uhrmacherfamilie im toggenburgischen Nesslau hineingeboren, begann Werner Anderegg 1937 seine Uhrmacherlehre an der Uhrmacherschule Solothurn. Das letzte halbe Jahr seiner vierjährigen Ausbildung absolvierte er beim Uhrmacher Adolf Schenk in Winterthur. Anlässlich der Lehrabschlussprüfung, die Werner Anderegg mit herausragenden Bestnoten bestand, fertigte er 1941 seine erste astronomische Uhr. Inspiration dafür war die noch heute in der Winterthurer Mörsburg ausgestellte eiserne Wanduhr mit fünf Zeigern. Werner Anderegg verfasste in der damaligen Uhrmacherzeitung einen Artikel über seine Lehrabschlussarbeit, in dem er das Engagement seines Lehrmeisters Adolf Schenk in den höchsten Tönen verdankt, nehme sich doch «nicht jeder Lehrmeister [...] die Mühe, seinen Lehrling auch in Mathematik, Trigonometrie und Algebra, sogar in Astronomie auszubilden.» Ausserdem beschrieb er, wie er mit Adolf Schenk manche Abende hinter Büchern und Zeichnungen oder bei Berechnungen für astronomische Uhren verbrachte. Hier hatten sich zwei gefunden, die ganz offensichtlich der gleichen Leidenschaft frönten.
Adolf Schenk – auch Lehrer von Konrad Kellenberger
Adolf Schenk war mit Konrad Kellenberger befreundet und brachte bereits diesem die Uhrmacherei bei. Schenk recherchierte und publizierte über die Winterthurer Uhrmacherfamilie Liechti und entdeckte gemeinsam mit Konrad Kellenberger erstmals eine signierte Konsolenuhr dieser aussergewöhnlichen Familie, woraufhin er begann, ein Register der weiteren Liechti-Uhren zu führen. Auch studierte Schenk Lorenz Liechtis astronomische Uhr von 1529, die sich ehemals am Unteren Bogen in Winterthur befand – und baute sie als Bodenstanduhr nach.
Astronomische Uhren – ein Lebensthema
Nach seinem Aktivdienst von 1941 bis 1945 fertigte Werner Anderegg im Jahr 1947 eine astronomische Standuhr für seine Meisterprüfung, die er mit Bravour bestand. Diese Uhr ist eine verkleinerte Kopie von Lorenz Liechtis astronomischer Uhr von 1529. Werner Anderegg hingegen berechnete das astronomische Getriebe für 48 º nördliche Breite, als Antrieb diente ihm ein Comtoise-Uhrwerk.
Beruf, Berufung und Hobby
Schon bald nach seiner Meisterprüfung wurde Werner Anderegg zum Lehrlingsexperten gewählt und bildete daraufhin elf Lehrlinge aus. 1956 übernahm er das väterliche Geschäft in vierter Generation und wenige Jahre später, 1963, errichtete er an der Aussenfront seines Geschäftes in Nesslau eine komplexe astronomische Uhrenanlage. Diese imposante Anlage, die sich seit 2008 im Musée international d'horlogerie in La Chaux-de-Fonds befindet, umfasst vier verschiedene Uhren: Die Weltzeituhr mit mitteleuropäischer Zeit und der Uhrzeit von 24 Weltstädten, den Sternenhimmel als Abbild des tatsächlich sichtbaren Himmels, die Planetenuhr mit 44 Rädern und über 240 Teilen, und die astronomische Uhr mit astronomischen und kalendarischen Anzeigen und Mondkugel. Das Uhrengeschäft in Nesslau ging 1988 an Andereggs Tochter Lisa Anderegg über. Doch Anderegg verabschiedete sich längst nicht in den Ruhestand, vielmehr widmete er sich bis zu seinem Tod im Jahre 2009 den «astronomischen Uhren» – was für ihn gleichermassen Beruf, Berufung und Hobby war.
Kunst, Wissenschaft und Handwerk
Insgesamt schuf Werner Anderegg nebst den erwähnten noch rund 40 weitere, ganz verschiedenartige astronomische Uhren. Beeindruckend ist dabei, dass während seiner gesamten Schaffensphase Uhren längst industriell hergestellt wurden und jeder Mann, jede Frau eine Armbanduhr am Handgelenk trug. Die Arbeit der zeitgenössischen Uhrmacher bestand denn auch vorwiegend aus der Reinigung von Uhren und dem Ersetzen defekter Teile. Werner Anderegg verband in eindrücklicher Weise fertige Uhrwerke des späten 20. Jahrhunderts mit astronomischen Getrieben, die er neu berechnete. Das einfache Kopieren von Werken früherer Meister war nicht sein Ziel, vielmehr verwirklichte er seine eigenen Ideen. So standen bei ihm auch die Mathematik für die anspruchsvollen Berechnungen und die absolute Präzision im Vordergrund. Gleichzeitig spiegelte sich in der äusseren Gestaltung der Uhren seine Liebe zur Natur. Er entwarf einzigartige Kombinationen von Design und technischer Komplexität, wie beispielsweise die Uhr in Form eines Pilzes mit Mondphasenanzeige.
Ob es Zufall ist, dass Werner Anderegg ausgerechnet im Toggenburg, nahe Lichtensteig, lebte, wo gut 400 Jahre früher der grosse Astronom, Mathematiker, Uhrmacher und Mechaniker Jost Bürgi geboren wurde?
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